Click- und Crowdworking: Mehr
Chancen als Risiken ?
Stellungnahme von PD Dr. Alexander Spermann (Universität Freiburg)
1.
Die technischen Möglichkeiten für Click- und Crowdworking werden täglich
besser. In Zeiten knapper finanzieller Ressourcen wegen Arbeitslosigkeit oder
Unterbeschäftigung bietet CC-Working große Chancen für Zusatzverdienste, freie
Zeiteinteilung und freie Ortswahl (z.B. Home-Office). Mehr Beschäftigung und
mehr Wachstum sind grundsätzlich möglich.
2.
Dabei sind zwei CC-Working-Teilmärkte zu unterscheiden: Der IT-Markt und
der Hilfsarbeiter/Handwerker-Markt.
3.
Marktführer am IT-Markt ist die Firma Upwork (früher Elance und
oDesk/Upwork, Fusion im Dezember 2013). Über diese Plattform sind 10 Millionen
freelancer in 180 Ländern organisiert. Der Umsatz beträgt über eine Milliarde Dollar
bei fast vier Millionen Geschäftskunden. Die Wachstumserwartungen für 2020
liegen zwischen 16 und 46 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der Weltmarktführer
in der Personaldienstleistung (staffing industry) – Adecco – setzte im Jahr
2014 etwa 20 Milliarden Euro um.
4.
Upwork agiert als Vermittler, der eine Plattform für selbstständige
Unternehmer gegen eine Vermittlungsgebühr zur Verfügung stellt. Für die Art der
über die Plattform vermittelten Jobs und deren Bezahlung fühlt sich Upwork
nicht verantwortlich.
5.
Dieses Geschäftsmodell ist wenig kapitalintensiv und risikoarm, so dass
es hohe Eigenkapitalrenditen verspricht. Dementsprechend hat Upwork – wie Uber
und Airbnb – hohe Summen an Risikokapital (venture capital) von Investoren erhalten.
Das Geschäftsmodell ist skalierbar, weil die zusätzlichen Kosten für
zusätzliche Nutzer fast null sind, und es kann schnell weltweit ausgerollt
werden. Die Marktbewertung Upwork’s wird durch immer größere Nutzer- und
Kundenzahlen gesteigert. Risikokapitalisten erwarten hohes Wachstum und einen
lukrativen Börsengang (IPO), damit ihre Investitionen rentabel werden. Regulierungen
gelten deshalb als Hindernis für exponentielles Wachstum.
6.
Die technischen Möglichkeiten haben eine in dieser Form bisher nicht
realisierbare Überwachung von Arbeitnehmern, die am PC arbeiten, ermöglicht. In
der IT-Welt ist das Risiko der totalen Überwachung und minutiösen
Leistungskontrolle groß: Erfassung von Tastenklicks und Mausbewegungen sowie
screenshots nach dem Zufallsprinzip sind in der Praxis in den USA üblich. Auch
die Leistungsüberprüfung durch leicht messbare Key Performance Indikatoren
(KPI) und ständiges Feedback durch Kunden stellen neue Herausforderungen an den
Arbeitnehmerschutz.
7.
Die bekanntesten Namen am Hilfsarbeiter/Handwerker-Markt sind die Firmen
Amazon Mechanical Turk und Taskrabbit. Das europäische Pendant heißt Mila. Grundsätzlich
lassen sich sehr viele Dienstleistungen über diese Plattformen anbieten. Es hat
sich jedoch in den USA gezeigt, das lediglich Geschäftsmodelle in vier
Bereichen erfolgreich sind: Putzhilfen, Haushaltshilfen, Gärtner und
Hilfsarbeiter. Ein bekannter Name in Deutschland ist die Firma Helplinge, die
sich auf Putzhilfen spezialisiert hat.
8.
"Wir gehen davon aus, dass bis 2020 rund die Hälfte aller
Erwerbstätigen in den USA als Freelancer arbeitet", sagt Dan Lavoie, der
im Vorstand der Freelancer-Gewerkschaft sitzt (Die Welt v. 16.4.2014). Ist eine
vergleichbare Entwicklung für Deutschland zu erwarten? Das ist nicht realistisch:
Derzeit sind lediglich sechs Prozent der Arbeitnehmer als Solo-Selbstständige
tätig – Tendenz fallend, wie Abbildung 1 zeigt:
Abbildung 1: Soloselbstständigkeit im Zeitverlauf 1999 – 2014 (in Tsd)
Quelle: Eurostat. Eigene Darstellung. Erwerbstätige
im Alter von 15-64 Jahren.
9.
Die Vermittlung von Arbeit über Plattformen ermöglicht die Zerlegung von
Dienstleistungen in kleine Teile (mini-gigs), ja sogar in Miniteile
(nano-gigs), die in wenigen Minuten, z.B. während der Busfahrt, erledigt werden
können. Damit wird flexible Arbeit superflexibel: Während Zeitarbeitsfirmen
ihre Mitarbeiter nach Stunden bezahlen (und dabei in Deutschland tariflich
gebunden sind und in anderen europäischen Ländern mindestens den gesetzlichen
Mindestlohn zahlen müssen), sind in dieser Jobwelt auch Stundenlöhne von
wenigen Euros möglich.
10. Die von der IG Metall
initiierte Homepage faircrowdwork.org ist ein sinnvolles Instrument, um
Transparenz in diese neue Jobwelt zu bringen. So kann die Entlohnung von mini-gigs
und nano-gigs sowie die Qualität von Plattformen offengelegt werden.
11. Da Selbstständige keine
abhängig beschäftigten Arbeitnehmer sind, lässt sich ein gesetzlicher
Mindestlohn für diese Personengruppe nicht durchsetzen. Jedoch sollte ein
Mindesteinkommen sichergestellt sein – sowohl während der Erwerbstätigkeit als
auch im Rentenalter. Vor diesem Hintergrund macht eine Sozialversicherungspflicht
für Selbstständige mit opt-out Klausel Sinn.
12. Eine offene Frage ist es, ob
Vermittler in keinem Fall Arbeitgeber sein können. In den USA waren
Uber-Fahrer, die ausschließlich für Uber fahren, mit einer Klage auf
Arbeitnehmerstatus erfolgreich – mit der Konsequenz, dass die Plattform auch
Arbeitgeber-Sozialversicherungsbeiträge abführen musste. Analog ist auch ein
Arbeitnehmerstatus für ausschließlich für eine Plattform tätige Clickworker
vorstellbar.
13. In der Vergangenheit wurden neue
Geschäftsmodelle, die flexible Arbeit ermöglichen, insbesondere von den
Gewerkschaften abgelehnt. In der Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell
Arbeitnehmerüberlassung wurde jedoch gelernt, dass Zeitarbeitnehmer auch
potenzielle Gewerkschaftsmitglieder sein können. Die freelancer Gewerkschaft in
den USA gilt als Beispiel, dass Gewerkschaften auch für Soloselbstständige
interessant sein können. Mitbestimmung kann grundsätzlich auch in einer Welt
mit einem höheren Anteil an freelancern durchgesetzt werden.
14. Click- und Crowdworking ist
nicht per se gut oder schlecht für die Beschäftigten, den Staat und die soziale
Marktwirtschaft. Die Art der Regulierung muss zusammen mit den Akteuren am
Markt entwickelt werden. Dazu ist auch noch deutlich mehr Wissen über den Markt
der Click- und Crowdworker nötig: Pilotprojekte und wissenschaftliche
Begleitung sind vor diesem Hintergrund zu befürworten.
15. Eine Regulierung mit Augenmaß
ist das Gebot der Stunde. Dazu ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Denn derzeit
arbeiten lediglich sechs Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland als Soloselbstständige,
wobei der überwiegende Teil von ihnen oberhalb des Existenzminimums verdient.
Vernünftig reguliert, könnte Click- und Crowdworking zu mehr Wachstum und
Beschäftigung beitragen, ohne dass die soziale Marktwirtschaft ausgehebelt
wird.
Literatur:
Brenke, Karl (2015): Selbständige Beschäftigung geht zurück. DIW
Wochenbericht Nr. 36/2015, 790-796.
Eichhorst, Werner; Alexander Spermann (2015): Sharing Economy – Chancen,
Risiken und Gestaltungsoptionen für den Arbeitsmarkt, IZA Research Report No.
69.
Hill, Steven (2015): Raw Deal, St. Martin’s
Press.
Haucap, Justus (2015): Die Chancen der Sharing Economy und ihre
möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Wirtschaftsdienst, 95, 91-95, München:
ifo-Institut.
Loske, Reinhard (2014): Politische Gestaltungsbedarfe in der Ökonomie
des Teilens: Eine Betrachtung aus sozial-ökologischer Perspektive. ifo
Schnelldienst Nr. 21/2014, 67, 21-24. München: ifo-Institut.
Monopolkommission (2015): Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale
Märkte (Sondergutachten 68). Bonn.