Donnerstag, 21. April 2016

Clickworker und Crowdworking



Click- und Crowdworking: Mehr Chancen als Risiken ?

Stellungnahme von PD Dr. Alexander Spermann (Universität Freiburg)


1.     Die technischen Möglichkeiten für Click- und Crowdworking werden täglich besser. In Zeiten knapper finanzieller Ressourcen wegen Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung bietet CC-Working große Chancen für Zusatzverdienste, freie Zeiteinteilung und freie Ortswahl (z.B. Home-Office). Mehr Beschäftigung und mehr Wachstum sind grundsätzlich möglich.
2.     Dabei sind zwei CC-Working-Teilmärkte zu unterscheiden: Der IT-Markt und der Hilfsarbeiter/Handwerker-Markt.
3.     Marktführer am IT-Markt ist die Firma Upwork (früher Elance und oDesk/Upwork, Fusion im Dezember 2013). Über diese Plattform sind 10 Millionen freelancer in 180 Ländern organisiert. Der Umsatz beträgt über eine Milliarde Dollar bei fast vier Millionen Geschäftskunden. Die Wachstumserwartungen für 2020 liegen zwischen 16 und 46 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der Weltmarktführer in der Personaldienstleistung (staffing industry) – Adecco – setzte im Jahr 2014 etwa 20 Milliarden Euro um.
4.     Upwork agiert als Vermittler, der eine Plattform für selbstständige Unternehmer gegen eine Vermittlungsgebühr zur Verfügung stellt. Für die Art der über die Plattform vermittelten Jobs und deren Bezahlung fühlt sich Upwork nicht verantwortlich.
5.     Dieses Geschäftsmodell ist wenig kapitalintensiv und risikoarm, so dass es hohe Eigenkapitalrenditen verspricht. Dementsprechend hat Upwork – wie Uber und Airbnb – hohe Summen an Risikokapital (venture capital) von Investoren erhalten. Das Geschäftsmodell ist skalierbar, weil die zusätzlichen Kosten für zusätzliche Nutzer fast null sind, und es kann schnell weltweit ausgerollt werden. Die Marktbewertung Upwork’s wird durch immer größere Nutzer- und Kundenzahlen gesteigert. Risikokapitalisten erwarten hohes Wachstum und einen lukrativen Börsengang (IPO), damit ihre Investitionen rentabel werden. Regulierungen gelten deshalb als Hindernis für exponentielles Wachstum.
6.     Die technischen Möglichkeiten haben eine in dieser Form bisher nicht realisierbare Überwachung von Arbeitnehmern, die am PC arbeiten, ermöglicht. In der IT-Welt ist das Risiko der totalen Überwachung und minutiösen Leistungskontrolle groß: Erfassung von Tastenklicks und Mausbewegungen sowie screenshots nach dem Zufallsprinzip sind in der Praxis in den USA üblich. Auch die Leistungsüberprüfung durch leicht messbare Key Performance Indikatoren (KPI) und ständiges Feedback durch Kunden stellen neue Herausforderungen an den Arbeitnehmerschutz.
7.     Die bekanntesten Namen am Hilfsarbeiter/Handwerker-Markt sind die Firmen Amazon Mechanical Turk und Taskrabbit. Das europäische Pendant heißt Mila. Grundsätzlich lassen sich sehr viele Dienstleistungen über diese Plattformen anbieten. Es hat sich jedoch in den USA gezeigt, das lediglich Geschäftsmodelle in vier Bereichen erfolgreich sind: Putzhilfen, Haushaltshilfen, Gärtner und Hilfsarbeiter. Ein bekannter Name in Deutschland ist die Firma Helplinge, die sich auf Putzhilfen spezialisiert hat.
8.     "Wir gehen davon aus, dass bis 2020 rund die Hälfte aller Erwerbstätigen in den USA als Freelancer arbeitet", sagt Dan Lavoie, der im Vorstand der Freelancer-Gewerkschaft sitzt (Die Welt v. 16.4.2014). Ist eine vergleichbare Entwicklung für Deutschland zu erwarten? Das ist nicht realistisch: Derzeit sind lediglich sechs Prozent der Arbeitnehmer als Solo-Selbstständige tätig – Tendenz fallend, wie Abbildung 1 zeigt:


Abbildung 1: Soloselbstständigkeit im Zeitverlauf 1999 – 2014 (in Tsd)
 Quelle: Eurostat. Eigene Darstellung. Erwerbstätige im Alter von 15-64 Jahren.
9.     Die Vermittlung von Arbeit über Plattformen ermöglicht die Zerlegung von Dienstleistungen in kleine Teile (mini-gigs), ja sogar in Miniteile (nano-gigs), die in wenigen Minuten, z.B. während der Busfahrt, erledigt werden können. Damit wird flexible Arbeit superflexibel: Während Zeitarbeitsfirmen ihre Mitarbeiter nach Stunden bezahlen (und dabei in Deutschland tariflich gebunden sind und in anderen europäischen Ländern mindestens den gesetzlichen Mindestlohn zahlen müssen), sind in dieser Jobwelt auch Stundenlöhne von wenigen Euros möglich.
10. Die von der IG Metall initiierte Homepage faircrowdwork.org ist ein sinnvolles Instrument, um Transparenz in diese neue Jobwelt zu bringen. So kann die Entlohnung von mini-gigs und nano-gigs sowie die Qualität von Plattformen offengelegt werden.
11. Da Selbstständige keine abhängig beschäftigten Arbeitnehmer sind, lässt sich ein gesetzlicher Mindestlohn für diese Personengruppe nicht durchsetzen. Jedoch sollte ein Mindesteinkommen sichergestellt sein – sowohl während der Erwerbstätigkeit als auch im Rentenalter. Vor diesem Hintergrund macht eine Sozialversicherungspflicht für Selbstständige mit opt-out Klausel Sinn. 
12. Eine offene Frage ist es, ob Vermittler in keinem Fall Arbeitgeber sein können. In den USA waren Uber-Fahrer, die ausschließlich für Uber fahren, mit einer Klage auf Arbeitnehmerstatus erfolgreich – mit der Konsequenz, dass die Plattform auch Arbeitgeber-Sozialversicherungsbeiträge abführen musste. Analog ist auch ein Arbeitnehmerstatus für ausschließlich für eine Plattform tätige Clickworker vorstellbar.
13. In der Vergangenheit wurden neue Geschäftsmodelle, die flexible Arbeit ermöglichen, insbesondere von den Gewerkschaften abgelehnt. In der Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell Arbeitnehmerüberlassung wurde jedoch gelernt, dass Zeitarbeitnehmer auch potenzielle Gewerkschaftsmitglieder sein können. Die freelancer Gewerkschaft in den USA gilt als Beispiel, dass Gewerkschaften auch für Soloselbstständige interessant sein können. Mitbestimmung kann grundsätzlich auch in einer Welt mit einem höheren Anteil an freelancern durchgesetzt werden.
14. Click- und Crowdworking ist nicht per se gut oder schlecht für die Beschäftigten, den Staat und die soziale Marktwirtschaft. Die Art der Regulierung muss zusammen mit den Akteuren am Markt entwickelt werden. Dazu ist auch noch deutlich mehr Wissen über den Markt der Click- und Crowdworker nötig: Pilotprojekte und wissenschaftliche Begleitung sind vor diesem Hintergrund zu befürworten.
15. Eine Regulierung mit Augenmaß ist das Gebot der Stunde. Dazu ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Denn derzeit arbeiten lediglich sechs Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland als Soloselbstständige, wobei der überwiegende Teil von ihnen oberhalb des Existenzminimums verdient. Vernünftig reguliert, könnte Click- und Crowdworking zu mehr Wachstum und Beschäftigung beitragen, ohne dass die soziale Marktwirtschaft ausgehebelt wird.


Literatur:
Brenke, Karl (2015): Selbständige Beschäftigung geht zurück. DIW Wochenbericht Nr. 36/2015, 790-796.
Eichhorst, Werner; Alexander Spermann (2015): Sharing Economy – Chancen, Risiken und Gestaltungsoptionen für den Arbeitsmarkt, IZA Research Report No. 69.
Hill, Steven (2015): Raw Deal, St. Martin’s Press.
Haucap, Justus (2015): Die Chancen der Sharing Economy und ihre möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Wirtschaftsdienst, 95, 91-95, München: ifo-Institut.
Loske, Reinhard (2014): Politische Gestaltungsbedarfe in der Ökonomie des Teilens: Eine Betrachtung aus sozial-ökologischer Perspektive. ifo Schnelldienst Nr. 21/2014, 67, 21-24. München: ifo-Institut.
Monopolkommission (2015): Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte (Sondergutachten 68). Bonn.